Gerechtigkeit, Gnade, Kausalität, Zufall: diese Motive gehören bei mir zum gleichen Gedankenmechanismus. Ich kann sie auch nennen, aber wie die Begriffe nichts Festes sind, so sind auch die Motive nichts Festes, sie sind nicht an sich vorhanden, sie sind Sprache, Worte, sterben ihren Wert nur durch die Konstruktion als Ganzes erhalten, die ich mit ihnen errichte. Die Stoffe Bd. 1, S 101. "Die Panne" entstand aus einer Anekdote: Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie begegnete ein entlassener Hofrat ebenfalls entlassenen Kanzlisten, der erstaunlich munter aussah, im Gegensatz zum vergreisten Hofrat. Nach dem Grunde seiner blühenden Gesundheit beantwortet brennen er antwortete der Kanzlist, habe eine ganze Fuhre Akten aus ihrem alten Ministerium gekauft, der Mann eben ver wollte, undarbeite die Akten Nonne durch. »Wissen Sie was«, antwortete der entlassene Hofrat seinen entlassenen Kanzlisten, »wissen Sie was, wenn Sie so eine Akte durchgearbeitet haben, könnten Sie sterben nicht zu mir rüberschicken, damit ich sie unterschreiben kann?
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe) "Die Panne" gibt es als Erzählung, Hörspiel, Theaterstück und Fernsehspiel. Im "Ersten Teil" der Erzählung fragt Friedrich Dürrenmatt: "Gibt es noch mögliche Geschichten, Geschichten für Schriftsteller? " Er hält nichts davon, von persönlichen Hoffnungen und Niederlagen zu schreiben, "wie wenn Wahrhaftigkeit dies alles ins Allgemeine transponieren würde". Den gängigen Forderungen nach Seele und höheren Werten steht er kritisch gegenüber ("irgendetwas soll überwunden oder bejaht werden, bald Christentum, bald gängige Verzweiflung"). Lieber sieht er sich wie einen Bildhauer, der sein Material formt und bearbeitet – ohne von seinen inneren Antrieben zu reden. Und dieses Material findet er, wo "aus einem Dutzendgesicht die Menschheit blickt, Pech sich ohne Absicht ins Allgemeine weitet, Gericht und Gerechtigkeit sichtbar werden, vielleicht auch Gnade, zufällig aufgefangen, widergespiegelt vom Monokel eines Betrunkenen". Der "Zweite Teil" besteht aus der eigentlichen skurrilen Geschichte: Das Spiel der Greise bringt den Durchschnittsmenschen Traps dazu, sich stolz eines Mordes zu bekennen, den er nicht beging.
Im Vorwort zur Erzählung "Die Panne", welche 1957 geschrieben wurde, fragt Friedrich Dürrenmatt: "Gibt es noch mögliche Geschichten für Schriftsteller? ", um dann selbst zu antworten: "Ja, solange es Pannen gibt". Der Hauptteil erzählt auf skurrile Art, wie der Kleinbürger Alfredo Traps sich aufgrund einer Autopanne in einer Geschichte verstrickt, sich selbst eines Mordes bezichtigt, den er nicht begangen hat und daran zugrunde geht (adsbygoogle = bygoogle || [])({});. Alfredo Traps, Generalvertreter einer Kunststofffirma, hat nur eine Stunde von seinem Wohnort entfernt, eine Autopanne. Die örtliche Autowerkstatt wird erst am nächsten Tag wieder öffnen. Da alle Zimmer in den Gasthöfen durch eine Tagung belegt sind, kommt er in der Villa eines ehemaligen Richters unter. Zusammen mit dem Gastgeber und drei älteren Herren, die einstmals Richter, Staatsanwalt, Strafverteidiger und Henker waren, isst er zu Abend und nimmt gern auch die Einladung zu einem absonderlichen Spiel an. Die Herren spielen täglich alte Gerichtsfälle nach, kreieren aber mit einem Gäst auch fiktive Gerichtsverhandlungen.
Der Staatsanwalt stellt dies als einen heimtückischen Akt dar. Obwohl der Verteidiger die Selbstbeschuldigungen abmildern will, besteht Traps - dem dieses Spiel Spaß macht - darauf, dass er das von Anfang an so geplant habe. Die Stimmung wird aufgrund der Alkoholmengen immer ausgelassener und als der Richter, inzwischen sturzbetrunken, unter Gejohle das Todesurteil verhängt, nimmt Traps dieses freudig an. Die Gesellschaft torkelt in die Zimmer oder schläft direkt auf der Treppe. Als sie dem Angeklagten am nächsten Morgen sein Urteil übergeben wollen, finden sie ihn erhängt am Fenster seines Zimmers. "Die Panne" ist nach wie vor eine aktuelle Geschichte, weil sich hierin unabhängig von einer tatsächlich begangenen Schuld, eine Art übergeordneter Gerechtigkeit ableiten lässt. Es gibt sie mit unterschiedlichem Ausgang als Erzählung, Hörspiel, Theaterstück und Fernsehspiel, in der der Protagonist sich entweder erhängt, erschießt oder am Morgen aufwacht und alles vergessen hat.
Theaterfassung: Traps erschiesst sich selber. Zusätzliche Rollen und stark erweiterter Inhalt der Geschichte. Die eigentliche Schuldfrage wird in keiner der vier Fassungen geklärt. In einer Welt der Pannen ist, nach Dürrenmatt, jeder schuldig und unschuldig.